09.05.2017 Gedenkveranstaltung

Bericht über die internationalen Gedenkveranstaltungen 2017

Anlässlich des 72. Jahrestages des Kriegsendes und der Befreiung der Konzentrationslager am 3. Mai 2017 organisierte die KZ-Gedenkstätte Neuengamme eine internationale Gedenkfeier, an der auch neun Überlebende aus verschiedenen Ländern teilnahmen. Teil des Programms war auch ein Treffen von Angehörigen ehemaliger Häftlinge des KZ-Neuengamme und seiner Außenlager, das dritte Forum „Zukunft der Erinnerung“ sowie öffentliche Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.

Am Angehörigentreffen am 30. April nahmen Nachkommen der zweiten, dritten und vierten Generation aus Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Polen und Slowenien teil. Die Teilnehmenden diskutierten – zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern der KZ-Gedenkstätte Neuengamme – die Arbeit von Angehörigen in nationalen Organisationen sowie im Dachverband „Amicale Internationale KZ Neuengamme“ (AIN) und sprachen über Programme, die die Gedenkstätte für Angehörige anbietet. Die Möglichkeit, die bestehende Struktur der Organisationen zu reformieren wurde ebenso diskutiert wie der Aufbau einer neuen Organisation, die die Interessen aller Nachkommen repräsentieren soll.  Die Teilnehmenden stimmten darin überein, dass es wichtig sei, die jüngere Generation zu involvieren, da diese es sein werden, die die Stimmen der Geschichte weitergeben werden.

Während des Forums „Zukunft der Erinnerung“ diskutierten Nachkommen von ehemaligen Häftlingen und andere Interessierte die Frage, wie an die NS-Verbrechen zu erinnern sei, wenn es keine Überlebenden mehr gibt, die ihre Geschichte erzählen können. Zunächst sprachen drei Nachkommen ehemaliger Häftlinge, die jeweils Bücher über ihre Familiengeschichte geschrieben haben über ihre Motivation, diese Geschichten öffentlich zu machen. Ein Grund war es, sicherzustellen, dass auch künftig an die Verfolgten erinnert wird, ein anderer, eigene Gefühle und damit Folgen der Verfolgung in der Familie zu vermitteln. Nach dieser Diskussion wurde das Jugendprojekt „Stimme erheben, Stimmen bewahren“ vorgestellt, in dessen Rahmen neun Schülerinnen und Studierende zwischen 16 und 21 Jahren einen Radio-Podcast zum Thema Widerstand produziert haben. Der Fokus des Projekts lag darauf, Verbindungen und Kontinuitäten zwischen Widerstand während der Nazizeit und gegenwärtigen Widerstand gegen die extreme Rechte aufzuzeigen. Es kam die Frage auf, wie Widerstand zu definieren sei und wie dieses Thema in der Alltagskultur verhandelt wird. Die Diskussion, wie in der heutigen Gesellschaft Widerstand geleistet werden kann, wurde in Workshops fortgesetzt. Verschiedene Themenbereiche wie offener Protest, militanter Widerstand und der Gebrauch von Social Media wurden beleuchtet. Ein Workshop untersuchte verschiedene Beispiele von erfolgreichem und gescheitertem Widerstand. Auch wurde die Frage gestellt, was eine Person davon abhalten kann, Widerstand zu leisten, wie z.B. Furcht, mangelndes Selbstvertrauen, politische Repression oder sich alleine in einer schwierigen Situation wiederzufinden. Die Gruppe arbeitete zusammen an Ideen, was Menschen motivieren könnte, in Widerstandsbewegungen aktiv zu werden. Abschließend wurden Grenzen und Möglichkeiten der Redefreiheit diskutiert. Auf aktuelle Herausforderungen in der Meinungsfreiheit wurde Bezug genommen, auch über Anonymität, die das Internet bietet, diskutiert. Die Teilnehmenden betonten die Wichtigkeit, sich Verbündete zu suchen und sich mit jenen, die täglich Diskriminierung ausgesetzt sind, zu solidarisieren.

Am zweiten Tag des Forums wurden gegenwärtige Formen der Erinnerung diskutiert.  Ideen wie der Blog “Reflections on Family History Affected by Nazi Crimes”, das Niederländische “Digitaal Monument”, die Herdenkingsweek (organisiert von der belgischen N.C.P.G.R. Meensel-Kiezegem ’44 ) und das Projekt  „Ort der Verbundenheit“, das Nachkommen von ehemaligen Häftlingen aus Neuengamme einen Treffpunkt bietet und es ihnen ermöglicht, eine Gedenktafel für ihre Verwandten zu entwickeln. Die Teilnehmenden sprachen sich dafür aus, alle diese verschiedenen Projekte und Orte des Gedenkens miteinander zu verbinden.

Da viele Häftlinge aus Ländern wie Belgien oder den Niederlanden über sogenannte „Transit-Camps“ nach Neuengamme gekommen sind, stellten StellvertreterInnen des Kamp Amersfoort in den Niederlanden und Fort Breendonk in Belgien ihre Arbeit vor. Dieses Panel umfasste auch einen Repräsentanten des regionalen Forschungszentrums für Oral History in Voronezh, Russia. Alle vorgestellten Orte bieten Bildungsmöglichkeiten für Studierende und andere Interessierte. Eine mögliche Kollaboration zwischen diesen Institutionen, Projekten und Orten des Gedenkens und Erinnerns und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wurde vorgeschlagen. Die Teilnehmenden zeigten sich dieser Idee gegenüber aufgeschlossen. Viele waren zufrieden über den anregenden Verlauf der verschiedenen Workshops und Diskussionen, aber sich dennoch klar, dass eine Lösung, wie die dritte und vierte Generation mehr aktiviert werden könne, noch nicht gefunden sei. Weitere Besorgnis wurde geäußert im Hinblick auf teilweise schwierige finanzielle Verhältnisse und auch in der  Frage, wie Nicht-Europäer zu mehr Beteiligung aufgerufen werden könnten. Ideen für das Forum im nächsten Jahr wurden genannt, darunter das Thema „Kollaboration während der nationalsozialistischen Herrschaft“ oder das Aufnehmen eines Perspektivwechsels durch Einbeziehung von Vertretern außereuropäischer Länder, wie China oder der Nahe Osten.  

Am 1. Mai fand eine öffentliche Dialogveranstaltung statt, auf dem Nachkommen von NS-Verfolgten und Nachkommen von NS-Tätern ihre Erfahrungen teilten. Yvonne Cossu-Alba und Jean-Michel Gaussot, Kinder französischer Widerstandskämpfer, die im KZ Neuengamme starben, sprachen vor 100 Zuhörern mit Ulrich Gantz und Barbara Brix, deren Väter an NS-Verbrechen in Osteuropa beteiligt waren, über die Geschichten ihrer Väter und über die Schwierigkeit, die sie persönlich hatten, mit der jeweiligen Geschichte ihrer Väter umgehen zu können. Alle vier betonten die persönliche wie gesellschaftliche Bedeutung des Dialoges zwischen Nachkommen von NS-Verfolgten und NS-TäterInnen. Sie teilten die Meinung, wie wichtig Erinnerung und Gedenken ist, und dass das gegenseitige Zuhören der erste Schritt ist, um Grenzen zu überwinden.

Am Ende des zweiten Forumstages sprachen Ivan Moscovich und seine Frau Anitta über ihre persönlichen Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges und berichteten über die Konsequenzen der Verfolgung auf ihr gemeinsames Leben. 140 Zuhörer nahmen an diesem Zeitzeugengespräch teil.

Am 3. Mai fand anlässlich des 72. Jahrestags der Bombardierung der KZ-Schiffe in der Neustädter Bucht, an dem 6600 Häftlinge ums Leben kamen, eine öffentliche Gedenkfeier am Mahnmal in Neustadt/Holstein statt, die von der Amicale Internationale KZ Neuengamme in Kooperation mit der Stadt Neustadt und der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme organisiert wurde. Mit Jewgenij Malychin sprach ein Überlebender der Schiffskatastrophe, außerdem sprachen mit Jacques Sarête und Jean-Michel Gaussot zwei Söhne ehemaliger Häftlinge. Alle drei teilten ihre persönlichen Geschichten und betonten, wie wichtig es sei, an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung zu erinnern – gerade im Angesicht aktueller nationalistischer Bestrebungen.

Am Nachmittag fand dann die öffentliche Gedenkveranstaltung der Freien und Hansestadt Hamburg anlässlich des 72. Jahrestages des Kriegsendes und der Befreiung der Konzentrationslager in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme statt, an der 350 Menschen teilnahmen. Unter den Sprechern waren mit Ivan Moscovich und Joanna Fryczkowska zwei KZ-Überlebende und mit Yvonne Cossu-Alba eine Vertreterin der 2. Generation. Die jungen Erwachsenen des Radioprojektes präsentierten ihre Ergebnisse, die viele Fragen aufwarfen, darunter, die Frage, was sie getan hätten, wenn sie in der Zeit des Nationalsozialismus gelebt hätten – und was heute gegen Ungerechtigkeit und Rassismus unternommen wird.

Bericht von Alexandra Cain 

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