16.01.2017 Nachricht

Neue Publikation zu "Euthanasie"-Verbrechen

Unter dem Titel "'Euthanasie'-Verbrechen. Forschungen zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik" ist Band 17 der Publikationsreihe "Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland" erschienen. Die Beiträge der Autorinnen und Autoren thematisieren die Vielschichtigkeit und Komplexität der NS Gesundheits- und Sozialpolitik sowie der Medizinverbrechen.

Die Morde an Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen zählen zu den nationalsozialistischen Großverbrechen mit geschätzten 300 000 Opfern. Allerdings begannen  die Ausgrenzungen und Diskriminierungen dieser Menschen weit vor 1933 und endeten auch nicht mit Kriegsende 1945.

In Hamburg waren 1933 etwa 4000 psychisch erkrankte Männer, Frauen und Kinder in den beiden großen Staatskrankenanstalten Friedrichsberg in Hamburg-Eilbek und Langenhorn in Hamburg-Langenhorn sowie in der Heilanstalt Strecknitz in Lübeck untergebracht. Die Patientinnen und Patienten dieser Anstalten sowie die Bewohnerinnen und Bewohner der Alsterdorfer Anstalten und alle Menschen, die außerhalb der Anstalten lebten und als "psychisch krank", "behindert", "asozial", "minderwertig " oder "gefährlich" und deshalb als "lebensunwert" galten, waren im Nationalsozialismus potenzielle Opfer von "Euthanasie"- Verbrechen. Sie waren entwürdigenden Diffamierungen ausgesetzt, in den 1930er-Jahren zunächst von Zwangssterilisationen betroffen und während des Krieges von der Abschiebung in Tötungsanstalten der "Euthanasie". Kleinkinder wurden in den zwei Hamburger "Kinderfachabteilungen " im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort und in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn getötet. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Behörden und Ämter, der Hamburger Universität, der Krankenhäuser, der Pflegeheime und der Fürsorgeeinrichtungen sowie die Dienststellen der NSDAP waren an den Verbrechen beteiligt. Die Täterinnen und Täter waren fast ausnahmslos keiner Strafverfolgung ausgesetzt. Erst in den 1980er- Jahren erschienen in Hamburg erste Veröffentlichungen zu den "Euthanasie"-Verbrechen. Die historische Aufarbeitung dieser Verbrechen war auch von öffentlichen Diskussionen über den angemessenen Umgang unserer Gesellschaft mit Menschen mit Behinderungen und Erkrankungen begleitet. Seitdem haben die Forderungen, kranke, behinderte und hilfebedürftige Menschen in ihrer Würde zu achten und ihre selbstverständliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten, immer mehr Zustimmung gefunden.

Das Heft versammelt folgende Beiträge:

  • "Euthanasie"-Verbrechen in Hamburg – ein Überblick (Herbert Diercks)
  • "Euthanasie" an Kindern in Hamburg: Das "Reichsausschuß"-Verfahren – von der Meldung zum Hirnpräparat (Marc Burlon und Lawrence A. Zeidman)
  • Die akademische Seite der "Kindereuthanasie" während des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit (Hendrik van den Bussche)
  • Vom Krankenmord zum Holocaust. Die Ermordung der polnischen Psychiatriepatientinnen und -patienten unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg (Friedrich Leidinger)
  • "… sogenannte 'asoziale Elemente' ebenfalls zur Vernichtung reif machen". Das Berliner Arbeitshaus Rummelsburg und die NS-"Euthanasie" 1940 bis 1942 (Thomas Irmer)
  • "Es gibt in Deutschland sicherlich keine Stelle, die eine solche Menge brüchiger und unterwertiger Menschen mit einer so kleinen Schar von Stationskräften bewahrt." Zur Entwicklung der Staatlichen Wohlfahrtsanstalten in Hamburg 1933 bis 1945 (Uwe Lohalm)
  • Den Opfern ein Gesicht, den Namen wiedergeben. Der wissenschaftliche und erinnerungskulturelle Umgang mit den sterblichen Überresten getöteter Kinder der "Kinderfachabteilung" Lüneburg (Carola S. Rudnick)
  • Die "Psychiatrisierung" von "Querulanten" im Nationalsozialismus – ein Fallbeispiel (Claudia Schaaf)
  • Die "Aktion T4" und die Landesheilanstalt Neustadt in Holstein (Friedrich Ernst Struwe)

Das Buch kann ab sofort über den Online-Shop der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bestellt werden. Hier finden sich auch weitere inhaltliche Informationen zu den einzelnen Beiträgen.