14.06.2019 Bericht

"Wir werden wiederkommen und mehr Zeit mitbringen"

Eine quantitative Umfrage unter den Besucherinnen und Besuchern der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die im Jahr 2018 mit dem Institut markt.forschung.kultur durchgeführt wurde, sollte neben grundlegenden Daten zu den die Gedenkstätte aufsuchenden Menschen und neben touristischen Kennzahlen auch Besuchsmotive, Erwartungen und Zufriedenheit ermitteln sowie Hinweise geben, was Besucherinnen und Besucher von ihrem Besuch mitnehmen und was wir als Gedenkstätte verbessern können.

Methodik

Mit einem standardisierten zweiseitigen Fragebogen wurden von Januar 2018 bis Januar 2019 insgesamt 1172 anhand systematischer Stichproben ausgesuchte Personen befragt, die als Einzelbesucherinnen und -besucher oder mit einer Gruppe in die Gedenkstätte gekommen waren. Um trotz der Unterschiedlichkeit der Besucherinnen und Besucher aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, wurden die erhobenen Daten nach ausgewählten Kriterien und Personengruppen auf Unterschiede untersucht. Die Auswertung erfolgte nach unterschiedlichen Kriterien wie Saison, Alter, Besuchskonstellation und touristischen Aspekten. Im Folgenden werden einige der Ergebnisse des Monitorings zusammengefasst.

Besucherinnen und Besucher

Mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren waren die Besucherinnen und Besucher der KZ-Gedenkstätte Neuengamme im Vergleich zu anderen Museen relativ jung, über 40 % waren jünger als 30 Jahre. 13% der Befragten waren Schülerinnen und Schüler, die überwiegend im Rahmen von gebuchten Führungen mit ihrer Schulklasse kamen. 47% der Gesamtbesucherzahl kamen aus dem Ausland. Vertreten waren 52 Länder, häufigstes Herkunftsland war die USA. 57% der internationalen Gäste kamen aus einem europäischen Land, die meisten aus den Niederlanden, Großbritannien, Dänemark und Spanien. Drei Viertel der Besucherinnen und Besucher aus Deutschland kamen aus dem Norden, 41% aus dem Großraum Hamburg.

Besuchendencluster

Die Einzelbesucherinnen und -besucher suchten die Gedenkstätte überwiegend gezielt auf. Für 25% von ihnen war der Besuch Bestandteil eines Urlaubs. Dabei kann nicht von "typischen" Besucherinnen und Besuchern gesprochen werden, denn Interessen und Besuchsmotive der unterscheidbaren Gruppen variieren zum Teil deutlich. Während z. B. Besucherinnen und Besucher aus Deutschland (und hier insbesondere die Älteren) die Auseinandersetzung und Aufarbeitung der NS-Geschichte suchten und explizit an der Geschichte des KZs Neuengamme interessiert waren – Jüngere eher allgemein am Nationalsozialismus – war dies für Besucherinnen und Besucher aus dem Ausland kein Thema. Sie interessierten sich eher allgemein für Geschichte und Erinnerungskultur. Die Besuchsintention deutscher Besucherinnen und Besucher kann als "informieren und gedenken" benannt werden, internationale Besucherinnen und Besucher wollen "sehen und verstehen".

Besuchsinteresse

Generell interessierten sich alle Altersgruppen für die Geschichte des KZ Neuengamme. Viele (ca. 40%) gaben als Besuchsmotiv an, den Originalschauplatz sehen zu wollen. Der Wunsch, die Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, war besonders stark bei den über 55-Jährigen aus Deutschland ausgeprägt, der Wunsch, der Opfer zu gedenken, in den mittleren Altersgruppen, und der Wunsch nach Informationen über die NS-Geschichte bei den unter 35-Jährigen. Dabei hatten Besucherinnen und Besucher aus Deutschland entweder den Wunsch, sich zu informieren und zu gedenken (Einzelbesucherinnen und -besucher), oder kamen nicht aus eigener Initiative (hauptsächlich Schulklassen). Internationale Besucherinnen und Besucher kamen immer aus eigener Initiative und waren teils selbst betroffen oder wollten die Geschehnisse sehen und verstehen. Auch nach Altersgruppen verteilten sich die Besuchsfaktoren unterschiedlich: Jüngere Menschen wollten eher sehen und verstehen als sich informieren und gedenken. Besucherinnen und Besucher mittleren Alters wollten sich vor allem informieren und gedenken. Ältere waren häufiger selbst betroffen und wollten sich ansonsten am ehesten informieren und gedenken.

Kommunikationskanäle

Entsprechend der überwiegend touristischen und oft internationalen Herkunft der Besucherinnen und Besucher hatten nur wenige Kommunikationskanäle signifikante Relevanz erreicht, die meisten waren durch "sonstige" Kommunikation (z. B. auf eine Empfehlung) auf die KZ-Gedenkstätte Neuengamme aufmerksam geworden. Schule war für deutsche Besucherinnen und -besucher wichtigstes Kommunikationsmittel. Daneben waren für Einzelbesucherinnen und -besucher die Website der Gedenkstätte bzw. zuleitende Websites oder Suchmaschinen (hier vor allem für ausländische jüngere Touristinnen und Touristen, die v.a. Google und Tripadvisor nannten) und Touristinformationen wichtige Quellen für Hinweise auf die Gedenkstätte.

Die Gedenkstätte aus Sicht der Besucherinnen und Besucher

Für die Besucherinnen und Besucher ist die KZ-Gedenkstätte Neuengamme vor allem ein historischer Ort, je älter die Befragten waren, desto eher wurde der Ort als Gedenkort wahrgenommen, für die mittleren Altersklassen auch ein Lernort. Darüber hinaus war der Blick auf die KZ-Gedenkstätte bei den älteren deutlich emotionaler als bei jüngeren Einzelbesucherinnen und -besuchern. Für fast alle war die KZ-Gedenkstätte Neuengamme informativ und beeindruckend (mehr als 90%). Berührend (62%) fanden sie vor allem internationale Einzelbesucherinnen und -besucher, sachlich (13%) eher Schulklassen.

Besuchsfaktoren / Bedürfnisse

Auch die Erwartungen der einzelnen Gruppen unterschieden sich. Für junge Besucherinnen und Besucher sind vor allem die Faktoren rund um die Vermittlung und vor Ort (Orientierung, der Ort an sich) ausschlaggebend, für Besucherinnen und Besucher mittleren Alters stand die Information im Vordergrund. Für Ältere spielten Vermittlungsaspekte keine Rolle, dafür aber Serviceaspekte. Die Möglichkeit des Gedenkens war für 60% aus Deutschland und für 80% aus dem Ausland wichtig. "Einen Überblick über die Geschehnisse bekommen" und der historische Ort selbst waren für alle die wichtigsten Besuchsaspekte. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die meisten Besucherinnen und Besucher am historischen Ort einen Überblick über die Geschehnisse bekommen wollen und es dabei vor allem Einzelschicksale waren, die berührten und in Erinnerung blieben.

Aufenthalt und Zufriedenheit

Im Durchschnitt verbrachten die Besucherinnen und Besucher gut drei Stunden in der Gedenkstätte, Gruppen blieben im Durchschnitt etwas länger, ausländische Gäste weniger lange als Besucherinnen und Besucher aus Deutschland.

Während fast alle Besucherinnen und Besucher die Hauptausstellung und den Servicepoint besuchten, sahen sich rund 50% – oft internationale Besucherinnen und Besucher – weitere Orte an, vor allem das Haus des Gedenkens, das ehemalige Klinkerwerk, die Außenausstellung am Mauerüberrest der Justizvollzugsanstalt, die ehemaligen SS-Garagen und die ehemaligen Walther-Werke. Die Zufriedenheit mit den Ausstellungen und Orten war insgesamt sehr hoch. Den (positiven) Gesamteindruck prägte vor allem die Hauptausstellung. Jeweils 90% hatten einen guten Überblick über die Geschichte bekommen, fanden die Ausstellungen gut aufbereitet und die Texte verständlich (hier werteten jüngere Gäste und ausländische Besucherinnen und Besucher etwas schlechter). Dies kann als gutes und wichtiges Ergebnis gewertet werden, denn für 93% der Besucherinnen und Besucher war der Überblick der wichtigste Grund für ihren Besuch. Jüngere Besucherinnen und Besucher bewerteten die besuchten Ausstellungen und Orte generell etwas schlechter als ältere, Schulklassen aber nicht besser oder schlechter als Einzelbesucherinnen und -Besucher. Selbst Betroffene waren insgesamt und mit einzelnen Aspekten deutlich zufriedener als nicht selbst Betroffene. Alle Einzelaspekte wurden mit "gut" bis "sehr gut" bewertet – Vermittlung und Präsentation erhielten die besten Bewertungen. Besucherinnen und Besucher, die bereits andere KZ-Gedenkstätten besucht hatten, waren insgesamt etwas weniger zufrieden.

Gut 50% der Besucherinnen und Besucher aus Deutschland und ca. 33% der internationalen Besucherinnen und Besucher hatten bereits zuvor eine KZ-Gedenkstätte besucht (am häufigsten wurden die Gedenkstätten Dachau, Auschwitz und Bergen-Belsen genannt). Für einen Großteil war der Besuch in Neuengamme jedoch der erste Kontakt mit einer KZ-Gedenkstätte.

Effekte des Besuchs

Der Besuch löste bei vielen (kurzfristige) Gefühle aus und beeinflusste bei wenigen auch (langfristiger) ihre Sicht und ihre Werte. Er hat in erster Linie berührt (68%) und zum Nachdenken angeregt (67%), wobei Einzelbesucherinnen und -besucher, insbesondere aus dem Ausland, eher berührt waren und Besucherinnen und Besucher aus Deutschland, insbesondere Schulklassen, eher zum Nachdenken angeregt wurden. Rund 20% wurden durch den Besuch für gesellschaftspolitische Entwicklungen sensibilisiert; dies gaben vor allem erwachsene Einzelbesucherinnen und -besucher an. Für 11% änderte sich mit dem Besuch die Perspektive auf die NS-Geschichte, dies gaben jüngere Besucherinnen und Besucher und Besucherinnen und Besucher aus dem Ausland an. Kaum jemand fühlte sich überfordert mit dem Besuch, allerdings war jeder Zehnte angestrengt, Besucherinnen und Besucher aus Deutschland gaben dies doppelt so oft an.

Prägende Eindrücke

Am häufigsten blieben Orte und Gebäude (Haus des Gedenkens, ehemaliges Klinkerwerk, ehemaliger Appellplatz) und die Schicksale und Geschichten von einzelnen Personen im Gedächtnis. Besucherinnen und Besucher aus Deutschland nannten hier als Eindrücke eher emotionale Aspekte und Gefühle bzw. Betroffenheit, für ausländische Besucherinnen und Besucher waren oft bestimmte Gebäude oder Ausstellungsobjekte prägend oder das gesamte Gelände beeindruckte als historischer Ort und als Ort des Geschehens.

Am Ende des Fragebogens war es möglich, ein Feedback zu geben. Für einen großen Teil der Gäste war es wichtig, die Relevanz der Gedenkstätte und ihren Bildungsauftrag zu betonen. Viele bedankten sich explizit dafür. Gelobt wurden häufig die Führungen und das Personal der Gedenkstätte. Kritisiert wurden die Beschilderung, die Öffnungszeiten der Cafeteria und fehlende Übersetzungen für nicht deutschsprachige Besucherinnen und Besucher.

 

Die Ergebnisse der Umfrage werden von der Gedenkstätte diskutiert und aufgenommen werden. Ein erster Schritt wird die Übersetzung einiger Biografien in die jeweilige Landessprache sein.

Diese Zusammenfassung beruht auf dem ausführlichen Bericht „BesucherInnen-Monitoring für die KZ-Gedenkstätte Neuengamme“ des Instituts markt.forschung.kultur vom März 2019.