24.02.2016 Zeitzeugengespräch

Zeitzeugengespräch mit Hans Gaertner

Der Holocaustüberlebende Dr. Hans Gaertner war am 23. Februar im Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu einem Zeitzeugengespräch eingeladen.

Eingeleitet wurde die Veranstaltung mit einer zeitlich etwas gekürzten Fassung des Dokumentarfilms „Resilienz. Szenen aus dem Leben von Hans Gaertner“, danach hatte das unter anderem aus zwei Hamburger Schulklassen bestehende Publikum Gelegenheit, Fragen zu stellen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Georg Erdelbrock, freier Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Hans Gaertner wurde im Januar 1926 in eine jüdisch-tschechoslowakische Familie in Hamburg geboren, wo sein Vater Erich eine Speditionsfirma gründete. 1938 emigrierte die Familie ohne den Vater in die Tschechoslowakei, um den Nationalsozialisten zu entkommen, doch schon im März 1939 besetzte das Deutsche Reich das Land, und die Gestapo begann, Kommunisten und jüdische Emigranten, die aus Deutschland geflohen waren, zu verfolgen. Juden war es verboten, sich nach acht Uhr abends auf der Straße aufzuhalten, auch die öffentlichen Verkehrsmittel durften von ihnen nicht benutzt werden. Hans Gaertner war es als jüdischem Kind außerdem nicht erlaubt, eine Schule zu besuchen. 1941 wurde sein Vater von den Nationalsozialisten in das Ghetto Minsk deportiert und dort ermordet. Seine Mutter und sein Bruder konnten in die Schweiz flüchten.  

Der damals gerade 16-jährige Hans wurde im Jahr 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er eine Ausbildung zum Schlosser vollzog. Von dort aus kam er im Dezember 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz. Seine Zeit in Auschwitz war geprägt von extrem harter und entwürdigender Zwangsarbeit. Er musste zusammen mit anderen Häftlingen große Gesteinsbrocken verladen und die Toiletten ausleeren.

Von Auschwitz aus wurde er in das brandenburgische Außenlager des KZ Sachsenhausen Schwarzheide deportiert. Hier war die Aufgabe der Häftlinge, eine Fabrik wieder aufzubauen, in der aus Braunkohle Benzin hergestellt wurde, und die durch einen Luftangriff der Alliierten zerstört worden war.

Am 19. April 1945 nahm Hans Gaertner an einem Todesmarsch teil, der die KZ-Häftlinge aus frontnahen Konzentrationslagern wegbringen sollte. Sie wurden in eine jüdische und eine nichtjüdische Gruppe aufgeteilt. Hans Gaertner wurde mit den anderen jüdischen Häftlingen in einem Zug Richtung Theresienstadt gebracht. Am 7. Mai erreichte der Zug Leitmeritz, von wo aus die Häftlinge den restlichen Weg in das bereits befreite, aber überfüllte Theresienstadt zu Fuß gehen mussten. Einen Tag später kapitulierte das Deutsche Reich bedingungslos und Hans Gärtner wurde ein freier Bürger.

Nach dem Krieg kehrte Hans Gaertner nach Prag zurück. Im Lauf der Zeit lebte er zeitweise außerdem in der Schweiz und in Deutschland, bevor er 1989 wieder nach Prag zog, wo er bis heute lebt. Nach dem Abitur begann er ein Jura-Studium, das er 1950 als Dr. jur. abschloss.

Hans Gaertner arbeitete als Journalist und Übersetzer von tschechischer Literatur ins Deutsche und engagiert sich als Vorsitzender des Vereins der Schwarzheide-Überlebenden. Nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhielt er eine finanzielle Entschädigung für seine Zeit als Häftling in den Konzentrationslagern, allerdings keine für die von den Nationalsozialisten enteignete Speditionsfirma seines Vaters.

Text: Nicolas Weidenbörner