13.05.2019 Archivmeldung

Zejnil Šejto – Versuchsperson der TBC-Experimente von Kurt Heißmeyer

Durch die Ermordung der Kinder vom Bullenhuser Damm erlangten die Tuberkulose-Experimente des Arztes Kurt Heißmeyer im KZ Neuengamme eine traurige Berühmtheit. Aber nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene wurden Opfer dieser Menschenversuche. Über die meisten von ihnen ist bislang nur wenig bekannt. Umso bedeutsamer war der Besuch der Familie von Zejnil Šejto im Archiv der Gedenkstätte.

Am 3. Mai 2019 besuchten die Enkel des Bruders von Zejnil Šejto die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Am Jahrestag der Befreiung wollen sie ihrem Großonkel gedenken, der nie aus dem KZ Neuengamme heimkehrte. Dass er im KZ Neuengamme inhaftiert war, erfuhren sie erst vor kurzem. Jahrzehntelang hatte die Familie vergeblich nach ihm gesucht. Es war nur bekannt, dass er in einem der KZ Lager in Deutschland inhaftiert war. Doch beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen stießen sie jüngst auf eine Spur, die sie nun nach Hamburg führte. Forscher des Internationalen Suchdienstes (ITS) hatten im Zuge von Nachforschungen über beim ITS gelagerte Effekten zu ihnen Kontakt aufgenommen. Der ITS verwahrt nach Kriegsende aufgefundene Besitztümer von KZ-Häftlingen, die diese bei Haftantritt hatten abgeben müssen. Vor wenigen Wochen erhielt die Familie eine Uhr und zwei Ringe des so lange vermissten Zejnil Šejto und erfuhr so von seiner Inhaftierung im KZ Neuengamme.

Kurz darauf stießen sie bei der Internetrecherche auf die Forschung der Medizinhistorikerin Dr. Anna von Villiez über die erwachsenen Versuchspersonen von Kurt Heißmeyer. Von ihr erfuhren sie mehr über das Schicksal von Zejnil Šejto. Unter den Aufzeichnungen Heißmeyers über seine Tuberkulose-Experimente im KZ Neuengamme, die dieser bei Kriegsende vergraben hatte, befindet sich auch die Krankenakte von Zejnil Šejto. Daraus geht hervor, welche qualvollen Versuche er erdulden musste.  

Sabahudin Matoruga und Sabahudin Šejto identifizierten ihren Großonkel auf Fotos der Versuchsopfer und überreichten der KZ-Gedenkstätte zwei Privataufnahmen von Zejnil Šejto. Von seinem Leben vor seiner Verhaftung konnten sie viel erzählen: Der Bosnier muslimischen Glaubens (zur damaligen Zeit offiziell als Kroate bezeichnet) wurde am 5. August 1921 in Ugorsko, einem Dorf in der Nähe von Sarajewo geboren, das damals zum "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen" gehörte. Er war der älteste Sohn der Familie, zwei seiner drei Brüder sind noch am Leben. Die Familie besaß viel Land und lebte hauptsächlich von der Landwirtschaft.

1942 wurde Zejnil Šejto zum Wehrdienst in die Heimwehr "Hrvatsko domobranstvo" des von der kroatischen Ustascha geführten Vasallenstaats "Unabhängiger Staat Kroatien" einberufen. Seine Einheit war in der Stadt Osijek stationiert. Die Kroatische Heimwehr unterstand dem Oberkommando der deutschen Wehrmacht und wurde lokal entsprechend eingesetzt. Warum nun Zejnil Šejto und weitere Soldaten seiner Einheit von der deutschen Wehrmacht verhaftet wurden, ist im Detail noch nicht bekannt. Die Familie erfuhr nur, Zejnil Šejto sei verhaftet und ins Deutsche Reich gebracht worden. Näheres wusste sie nicht.

Im Archiv der Gedenkstätte erfuhren die beiden Großneffen nun, dass Zejnil Šejto am 1. November 1943 in das KZ Neuengamme eingeliefert worden war. Er wurde zur Zwangsarbeit in ein Außenlager nach Hannover überstellt, vermutlich nach Hannover-Stöcken. Dort verletzte er sich bei einem Unfall am Fuß. Im Mai 1944 wurde er zurück in das KZ Neuengamme gebracht und dort im Krankenrevier aufgenommen, wo er offenbar als Versuchsperson für die Menschenversuche von Kurt Heißmeyer ausgewählt wurde. Die Aufzeichnungen über die Versuche an Zejnil Šejto enden am 20. Februar 1945. Was mit ihm danach geschah, ist unklar. Vermutlich starb er im KZ Neuengamme oder im Zuge der Lagerräumung.

Für Sabahudin Matoruga und Sabahudin Šejto war der Besuch der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und die Teilnahme an der Gedenkfeier für die Toten des KZ Neuengamme eine wichtige Erfahrung: "Die vielen Eindrücke und Informationen müssen wir nun erst in aller Ruhe verarbeiten, aber es war jedenfalls sehr, sehr beeindruckend und bewegend zugleich…"